Pablo Derungs

Pablo Derungs ist ein aktives Kerngruppenmitglied von Wandern für alle. Er ist ein begeisterter Wanderer in seinen frühen Siebzigern. Freudig und fit begleitet er regelmässig unsere Wandergruppen.

Ich habe ihn während meiner ersten Wanderung mit Wandern für alle kennengelernt. Er ist zusammen mit seinem äthiopischen Sprachtandempartner Abdi gekommen. Seinen Sinn für Humor und seine dynamische Art waren auf den ersten Blick zu erkennen. Unsere Zusammenarbeit bei der Organisation der Wanderungen erlaubte es mir, mich über verschiedenste Themen mit ihm zu unterhalten und seine Vielfältigkeit und inspirierte Art zu erleben. Ich schätze es, von ihm immer wieder etwas Neues zu erfahren.

Für ein kurzes Interview habe ich mich mit ihm im Generationenhaus in Bern getroffen und wir haben über seine Alltagsbeschäftigungen und seine Weltanschauungen gesprochen.

Mit welchen freiwilligen Aufgaben beschäftigst Du dich?

Ich bin pensioniert, bin bald 72-jährig und habe mich entschlossen, verschiedene freiwillige Aufgaben im sozialen Bereich zu übernehmen. Dazu gehört zum Beispiel eine Beistandschaft als PRIMA, als privater Mandatsträger in der Stadt Bern; ein Mandat der Kindes- und Erwachsenenschutz-Behörde (KESB) des Kantons Bern. Bis letztes Jahr habe ich einen gehörlosen Mann betreut. Nach seinem Tod habe ich nun eine Beistandschaft für einen 86-jährigen Mann übernommen, der Hilfe bei seinen administrativen und finanziellen Angelegenheiten benötigt.

Daneben arbeite ich aktiv im Quartierverein Obstberg mit, da wo ich wohne. Ich organisiere Veranstaltungen für die Quartierbewohner und -bewohnerinnen. Da gibt es auch die „Nachbarschaftshilfe“, wo man Menschen unterstützt, die Hilfe benötigen.

Ich bin ausserdem Verwalter der „Dürrenmatt-Mansarde“ im Obstberg, einer Unterkunft für Kulturschaffende während ihres Aufenthalts in Bern. Und ich mache Beratungen für Kulturschaffende in Notlagen.

Dann habe ich aber auch eine Aufgabe als „Hausmann“. Meine Frau arbeitet noch 100% und ich mache den Haushalt.

Und ich engagiere mich seit einiger Zeit eben bei Wandern für alle, einem tollen Projekt der isa in Bern. Manchmal führe ich selbst eine Tour; das mache ich wirklich gerne.

Was motiviert Dich, so viele freiwillige Aufgaben zu übernehmen?

Ich bin sicher, dass der Staat, die Politik, die Wirtschaft wichtige Rollen in unserer Gesellschaft übernehmen können und müssen für eine gerechte und friedliche Welt. Aber letztlich braucht es dazu unbedingt auch die freiwillige Arbeit; sie ist enorm wichtig, davon bin ich überzeugt.

Das ist interessant. Wie bist Du dazu gekommen?

Ich habe in Bern Sozialarbeit studiert, als ich schon 50 Jahre alt war; vorher war ich Ingenieur und Ökonom. Ich wollte aber nicht mehr als Ingenieur mit Beton arbeiten und nicht mehr als Ökonom mit Geld, sondern als Sozialarbeiter mit Menschen. Ich habe dann acht Jahre in der Gemeinde Köniz im Asylbereich gearbeitet. Das ist auch der Grund, warum mich die grossen aktuellen Fragen im Bereich Asyl/Migration besonders interessieren, und weshalb ich eben auch ein Sprach-Tandem mit Abdi, einem Asylbewerber aus Äthiopien, übernommen habe.

Seit wie vielen Jahren machst Du das Tandem mit Abdi?

Seit zwei Jahren. Die Heilsarmee hat Leute für das Tandem-Projekt gesucht, da habe ich mich gemeldet. Abdi wohnte damals im „Löscher“ am Viktoriaplatz. Da wurde er mir vorgestellt, und ich habe zugesagt. Und seitdem treffen wir uns regelmässig mal zum Essen in der Stadt oder für einen Spaziergang. Er ist noch im Asylverfahren, in einer schwierigen Situation, und mit einer belastenden Geschichte als Flüchtling. Mit dem Asylverfahren will ich selbst nichts zu tun haben; aber ich kann ihm helfen, kleinere Schwierigkeiten zu überwinden, mal eine SIM-Karte zu kaufen oder auch mal eine Busse von BernMobil zu bezahlen. Und natürlich helfe ich ihm, seine Kenntnisse der deutschen Sprache zu verbessern.

Warst Du immer so aktiv in der Freiwilligenarbeit?

Nein, das ist erst später gekommen, nach der Pensionierung. Aber ich habe mich schon früher immer wieder für benachteiligte Menschen eingesetzt, z.B. in der Entwicklungszusammenarbeit in Bolivien und in Nepal, oder mit dem Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe in Guatemala und in Somalia. Und als Wahlbeobachter für die OSCE und die UNO war ich in vielen Ländern.

Wirklich? Hattest Du keine Angst, dorthin zu gehen?

Nein, aber es war manchmal schon etwas gefährlich. Das Gefährlichste war eigentlich immer das Autofahren! Und einmal, in Bolivien, da bin ich in eine Demonstration reingeraten, mit Einsatz von Tränengas. Zuerst habe ich gedacht, Tränengas sei ja nicht so schlimm, aber dann bin auch ich sehr schnell weggerannt….

Soweit ich weiss, wanderst Du nicht nur mit Wandern für alle. Du bist auch ein richtiger Bergsteiger und kennst viele Routen in der Schweiz. Was würdest du dazu sagen?

Ja, ich bin ein Bergsteiger. Ich habe in den letzten fünfzig Jahren immer wieder Berge in den Alpen bestiegen, im Sommer und im Winter. Ich bin etwas stolz, zu sagen, dass ich alle 4000er der Schweiz bestiegen habe.

Alle?

Ja. Und einige mehrfach. Früher habe ich gedacht: Bergsteigen ja, Wandern nein. Wandern sei für alte Leute! Und jetzt, da auch ich älter geworden bin und nicht mehr so fit bin für die grossen und schwierigen Bergtouren, ist Wandern meine grosse Leidenschaft geworden.

Was motiviert Dich, mit Wandern für alle mitzumachen?

Ich zeige den Menschen gerne die vielen Schönheiten der Schweiz: Seen, Berge, Gletscher, Städte, Museen. Die Leute, die ich bei Wandern für alle antreffe, sind immer offen und interessiert, dankbar und freundlich, man kann lachen miteinander, man kann diskutieren, man kann essen zusammen. Wandern ist eine wunderbare Gelegenheit für diese schönen Kontakte!

Und Deine weitern Freizeitbeschäftigungen?

Ich mache gerne Musik; ich spiele Bratsche (Viola). Seit vielen Jahren spiele ich klassische Musik in Orchestern oder in kleinen Gruppen. Als Amateur natürlich, ich bin kein Profi.

Du bist sehr vielseitig!

Ja, aber ich habe auch das Glück, dass ich gesund bin. Wandern ist für mich einfach wunderbar, für den Körper, aber auch für mein Herz und meine Seele.

Zum Schluss: Gibt es noch etwas, das Du gerne ergänzen möchtest?

Ja, ich will nicht verschweigen, dass ich manchmal auch traurig bin über all das, was in der Welt draussen passiert: Asylsuchende, Flüchtlinge in schwierigen Situationen, Krieg, Gewalt, Ungerechtigkeit, Umweltverschmutzung. Natürlich, das gab es immer schon auf dieser Welt, und doch macht es mich traurig, und gelegentlich auch depressiv. Und ich weiss, ich kann die Welt nicht verändern. Und doch glaube ich: Auch mein kleiner Beitrag in der Freiwilligenarbeit ist wichtig!

Herzlichen Dank, Pablo, für das Gespräch!

Gökçe Ergün